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Oktober 2013

Betriebsbedingte Kündigung: Freier Arbeitsplatz im Ausland

Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) verpflichtet den Arbeitgeber, eine Beendigungskündigung des Arbeitnehmers dadurch zu vermeiden, dass er ihm - ggf. im Wege der Änderungskündigung - eine Weiterbeschäftigung zu geänderten, möglicherweise auch zu erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen anbietet. Diese Pflicht bezieht sich allerdings grundsätzlich nicht auf freie Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb des Arbeitgebers.

So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Fall eines Textilunternehmens, das in der Tschechischen Republik eine Betriebsstätte unterhält, in der Verbandsstoffe herstellt werden. Die „Endfertigung“ der Stoffe erfolgte in einem Betrieb am Sitz des Unternehmens. Dort war die Klägerin seit 1984 als Textilarbeiterin tätig. Im Juni 2011 beschloss das Unternehmen, seine gesamte Produktion in der tschechischen Betriebsstätte zu konzentrieren. In Deutschland sollte lediglich die Verwaltung nebst „kaufmännischem Bereich“ bestehen bleiben. Mit Blick hierauf erklärte sie gegenüber den an ihrem Sitz beschäftigten Produktionsmitarbeitern eine ordentliche Beendigungskündigung. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Der Arbeitgeber habe ihr durch den Ausspruch einer Änderungskündigung die Möglichkeit geben müssen, über einen Umzug zumindest nachzudenken.

Das sahen die Richter am BAG anders. Sie verwiesen auf die Bestimmungen des KSchG. Dessen erster Abschnitt ist nach dem Gesetzeswortlaut nur auf Betriebe anzuwenden, die in der Bundesrepublik Deutschland liegen. In diesem Sinne muss auch der weitere Betriebsbegriff verstanden werden, wenn es um einen Ersatzarbeitsplatz in einem anderen Betrieb geht. Im Übrigen sei die Kündigung auch wirksam. Aufgrund der Verlagerung der „Endfertigung“ in die - mehrere hundert Kilometer von ihrem Sitz entfernte - tschechische Betriebsstätte hatte der Arbeitgeber keine Möglichkeit mehr, die Klägerin in einem inländischen Betrieb weiter zu beschäftigen. Umstände, unter denen ausnahmsweise eine Verpflichtung des Arbeitgebers zu erwägen wäre, Arbeitnehmer im Ausland weiter zu beschäftigen, lagen nicht vor (BAG, 2 AZR 809/12). 


Arbeitsentgelt: Fahrzeiten nach Arbeitsantritt müssen bezahlt werden

Wird in einem Arbeitsvertrag vereinbart, dass nach Arbeitsantritt geleistete Fahrzeiten nicht vergütet werden, wird der Arbeitnehmer hierdurch unangemessen benachteiligt.

Das machte das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz deutlich. Die Richter erläuterten, dass grundsätzlich der Arbeitgeber das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko tragen müsse. Er könne dies nicht einfach so auf die Arbeitnehmer abwälzen. Daher seien vertragliche Bestimmungen, die diese Risiken auf den Arbeitnehmer verschieben, üblicherweise unzulässig. Der Arbeitnehmer könne hier also eine Vergütung verlangen (LAG Rheinland-Pfalz, 5 Sa 87/13). 


Kündigungsrecht: Wann genießt ein Geschäftsführer des Vereins Kündigungsschutz?

Das Arbeitsverhältnis eines Vereinsgeschäftsführers, der auf Satzungsbasis als besonderer Vertreter bestellt ist, fällt nicht unter das Kündigungsschutzgesetz.

Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm entschieden. Die Richter wiesen dabei darauf hin, dass es im Vereinsrecht den Begriff des Geschäftsführers nicht gibt. Zur Geschäftsführung befugt ist grundsätzlich der Vorstand. Häufig ist aber auch der Geschäftsführer als besonderer Vertreter Vereinsorgan laut Satzung. In diesem Fall unterfällt er nach Auffassung des LAG nicht den Vorschriften über den allgemeinen Kündigungsschutz im KSchG. Seine Bestellung und der Inhalt seiner Rechtsstellung leiten sich nämlich einschließlich der ihm zustehenden Vertretungsmacht unmittelbar aus der Satzung ab. Nicht nur der Vorstand, auch der besondere Vertreter zählt zur gesetzlichen Vertretung des Vereins. Dass seine gesetzliche Vertretungsmacht nicht unbeschränkt ist, sondern sich auf das übertragene Aufgabengebiet beschränkt, steht der rechtlichen Einordnung als gesetzlicher Vertreter nicht entgegen.

Hinweis: Etwas anderes gilt, wenn der Geschäftsführer als bloß vom Vorstand Bevollmächtigter ein einfacher Arbeitnehmer des Vereins ist. Dann gelten für ihn die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes (LAG Hamm, 8 Sa 1523/12). 


Teilzeit: Schichtarbeiter kann Anspruch auf Teilzeittätigkeit haben

Ein Maschinenführer, der nach knapp zwei Jahren Elternzeit in den Betrieb zurückkehrt und zuvor im 3-Schichtbetrieb in Vollzeit beschäftigt gewesen war, kann einen Teilzeit-Anspruch haben.

Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln im Fall eines Arbeitnehmers bestätigt, der eine in Vollzeit berufstätige Ehefrau und zwei Kinder hat. Er wollte nach der Elternzeit nur noch in Teilzeit von montags bis freitags zwischen 9.00 Uhr und 14.00 Uhr beschäftigt werden. Der Arbeitgeber hatte den Teilzeitwunsch abgelehnt und sich unter anderem darauf berufen, dass sonst speziell für den Kläger zusätzliche Schichtübergaben eingeführt werden müssten, was zu Produktionsverzögerungen und damit zu wirtschaftlichen Nachteilen führe.

Die Richter verwiesen in ihrer Entscheidung auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Danach muss ein Arbeitgeber Wünschen von Arbeitnehmern nach Verringerung und Neuverteilung der Arbeitszeit zustimmen, wenn nicht betriebliche Gründe entgegenstehen. Im vorliegenden Fall waren den Richtern die Ablehnungsgründe des Arbeitgebers nicht gewichtig genug. Gewisse organisatorische Anstrengungen seien bei jeder Einrichtung von Teilzeitarbeit erforderlich und gesetzesimmanent. Im vorliegenden Fall gingen sie nicht über das zumutbare Maß hinaus (LAG Köln, 7 Sa 766/12). 


Architektenhaftung: Arglistiges Verhalten bei nicht offenbarter Untätigkeit in der Bauüberwachung

Offenbart ein mit der Bauüberwachung beauftragter Architekt bei der Abnahme des Werkes nicht, dass er keine Bauüberwachung vorgenommen hat, so verschweigt er damit arglistig einen Mangel seiner Leistung.

Diese Klarstellung traf das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg. Die Richter wiesen zudem darauf hin, dass dies nicht nur gelte, wenn er überhaupt keine Bauüberwachung vorgenommen hat. Vielmehr sei dies auch der Fall, wenn er nur einzelne der überwachungspflichtigen Gewerke nicht überwacht hat und dies verschweigt. Zu berücksichtigen sei allerdings, dass Voraussetzung für die Arglist das Bewusstsein des Architekten ist, dass er seine Bauüberwachungsaufgabe nicht vertragsgemäß wahrgenommen habe. Erkenne er dagegen nicht, dass ein Gewerk überwachungspflichtig ist, und unterlasse er deshalb die Aufklärung über die fehlende Überwachung, fehle dieses Bewusstsein. Nur in diesem Fall könne ihm keine Arglist vorgeworfen werden (OLG Naumburg, 1 U 91/12). 


Baugenehmigung: Eilantrag gegen Bau von Kindertagesstätten erfolglos

Der durch die Nutzung des Außenspielbereichs einer Kindertagesstätte entstehende unvermeidbare Lärm spielender Kinder ist weder gebietsunverträglich noch rücksichtslos. Deshalb ist gerade ein in einem Wohngebiet angelegter Außenspielbereich von den Nachbarn grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen.

Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart entschieden und den Eilantrag von sieben Anwohnern (Antragsteller) gegen den Bau von zwei Kindertagesstätten für insgesamt 80 Kinder zurückgewiesen. Die Antragsteller hatten gegen die Baugenehmigungen für den Bau der Kindertagesstätten in einem allgemeinen Wohngebiet mit einer Außenspielfläche von insgesamt 860 m² insbesondere geltend gemacht, die Bauvorhaben verstießen in dem eng bebauten Bereich gegen die zulässige Art der baulichen Nutzung. Sie seien daher gebietsunverträglich und baurechtlich „rücksichtslos“. Weiter befürchteten sie aufgrund der ungünstigen Lage des Kinderspielplatzes und wegen des zu erwartenden Verkehrsaufkommens unzumutbare Lärmbelästigungen.

Dem sind die Richter am VG nicht gefolgt. Im allgemeinen Wohngebiet seien Kindertagesstätten nach der Baunutzungsverordnung als Anlagen für soziale Zwecke zulässig. Sie verstießen auch weder gegen das Gebot der Gebietsverträglichkeit noch gegen das baurechtliche Rücksichtnahmegebot. Ihr räumlicher Umfang halte sich durchaus im Rahmen der Umgebungsbebauung. Auch die Größe ihres betrieblichen Einzugsbereichs beschränke sich angesichts des nunmehr bestehenden Anspruchs auf einen Kinderbetreuungsplatz in einer Kindertagesstätte und der damit verbundenen allgemein verstärkten Errichtung von Kindertagesstätten im Wesentlichen auf den Bereich des Plangebiets und die benachbarten Wohnbereiche. Der vorhabenbedingte An- und Abfahrtsverkehr könne ebenfalls nicht als gebietsunverträglich angesehen werden. Auch im Hinblick auf den entstehenden Kinderlärm könne nicht von einem Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ausgegangen werden. Denn hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber im Bundesimmissionsschutzgesetz festgeschrieben habe, dass der - unvermeidbare - Lärm spielender Kinder regelmäßig keine immissionsschutzrechtlich relevante Störung darstellt. Darum sei gerade ein in einem Wohngebiet angelegter Kinderspielplatz im Rahmen seiner bestimmungsgemäßen Nutzung unter Anwendung eines großzügigen Maßstabs von den Nachbarn grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (VG Stuttgart, 13 K 2046/13). 


Elternunterhalt: Eine selbstgenutzte Immobilie ist nicht zu berücksichtigen

Der Wert einer selbstgenutzten Immobilie bleibt bei der Bemessung des Altersvorsorgevermögens eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen grundsätzlich unberücksichtigt.

Diese Klarstellung traf der Bundesgerichtshof (BGH) in einem entsprechenden Fall. Das ergebe sich nach Ansicht der Richter daraus, dass sonstiges Vermögen in einer Höhe von fünf Prozent des Jahresbruttoeinkommens vor dem Bezug der Altersversorgung regelmäßig nicht zur Zahlung von Elternunterhalt eingesetzt werden müsse. Dürfe der Schuldner des Anspruchs auf Elternunterhalt aber schon die zur eigenen Alterssicherung notwendigen Beträge zusätzlich zurücklegen, dann müssten auch die damit geschaffenen Vermögenswerte als Alterssicherung vor dem Zugriff des Unterhaltsgläubigers geschützt werden. Nur so könne der Zweck der Alterssicherung erreichen werden (BGH, XII ZB 269/12). 


Jugendamt: Eingriff ist möglich, damit ein Elfjähriger zur Schule geht

Ein Jugendamt darf eingreifen, wenn ein elfjähriger Junge nicht zur Schule geht und die Eltern die Schulunlust ihres Kindes akzeptieren. Die Eltern können zur Unterstützung eines Schulbesuchs ihres Kindes verpflichtet werden.

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall eines heute elfjährigen Jungen entschieden. Schon im ersten Schuljahr, in das er mit 7 Jahren eingeschult wurde, fehlte er an über 40 Tagen. Die Eltern meldeten ihn dann 2010 in der örtlichen Grundschule ab. In den nächsten Jahren besuchte er zwei weitere Grundschulen, an denen er nur wenige Tage blieb. Ein im Jahre 2012 unternommener Versuch, das Kind durch Lehrkräfte zu Hause zu beschulen, um eine Wiedereingliederung in eine Schule vorzubereiten, scheiterte. Der Junge wird zurzeit durch seine Mutter, von Beruf Informatikerin, unterrichtet. Er verfügt über einen altersgerechten Wissensstand. In der Vergangenheit lehnten es die Eltern ab, den Jungen gegen seinen Willen auf eine öffentliche Schule zu schicken.

Das OLG hat den Eltern nun das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten entzogen und dieses dem zuständigen Jugendamt übertragen. Dabei hat es davon abgesehen, das Kind aus dem elterlichen Haushalt herauszunehmen. Die Eltern wurden aber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Junge der Schulpflicht nachkommt und ihn zum Schulbesuch zu motivieren. Nach Ansicht der Richter sei das geistige und seelische Wohl des Kindes trotz des altersgerechten Wissensstands gefährdet. Im Hinblick auf die Weigerung des Kindes, zur Schule zu gehen, hätten die Eltern in der Erziehung versagt. Das bestätige das Gutachten des im Verfahren gehörten Sachverständigen. Zurzeit setzten die Eltern dem Kind keine Grenzen und Regeln, Pflichten seien diesem unbekannt. Da die Eltern die Schulpflicht des Kindes nicht akzeptierten und es in seiner Schulunlust förderten, würden dem Jungen die Bildungsinhalte einer weiterführenden Schule vorenthalten. Die Mutter werde trotz ihrer Ausbildung nicht in der Lage sein, sämtliche Lerninhalte einer weiterführenden Schule adäquat zu vermitteln. Ein Schulbesuch solle Kindern auch die Gelegenheit verschaffen, in das Gemeinschaftsleben hineinzuwachsen. Soziale Kompetenzen könnten effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft nicht nur gelegentlich stattfänden, sondern Teil einer mit einem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung seien. Der in der Familie gut integrierte Junge könne zumindest vorerst im familiären Umfeld bleiben. Deswegen sei den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind zu belassen. Zu entziehen sei ihnen aber das Recht zur Regelung seiner schulischen Angelegenheiten, weil sie nicht Willens und in der Lage seien, die Schulpflicht durchzusetzen (OLG Hamm, 8 UF 75/12). 


Sorgerecht: Anmeldung zur Klassenfahrt bindet üblicherweise beide Elternteile

Meldet die Mutter ihr Kind verbindlich zu einer Klassenfahrt an, bindet dies auch den sorgeberechtigten Vater.

Diese Klarstellung traf das Verwaltungsgericht (VG) Minden im Fall einer Tochter, die von ihrer Mutter verbindlich zu einer Klassenfahrt angemeldet wurde. Wegen Unstimmigkeiten über eine Notenvergabe teilte der Vater später mit, dass er die Zusage zur Klassenfahrt bis zu einer Klärung über die Note zurücknehme. Da eine Einigung über die Note nicht erzielt werden konnte, nahm die Tochter an der Klassenfahrt nicht teil. Im vorliegenden Verfahren klagt die Schule die Kosten der Klassenfahrt beim Vater ein.

Das VG entschied, dass der Vater die Kosten tragen müsse. Durch die verbindliche Anmeldung zu einer Klassenfahrt in Kenntnis der zu erwartenden Kosten werde ein einseitiger öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen. Hierdurch entstehe die Pflicht zur Übernahme der Kosten, auch wenn das Kind z.B. wegen einer Krankheit nicht an der Fahrt teilnehme. Der Vater könne sich auch nicht darauf berufen, dass er mit der Fahrt nicht einverstanden gewesen sei. Liege das Personensorgerecht für das Kind bei beiden Eltern, reiche die Anmeldung durch einen Elternteil aus. Bei einer Gesamtvertretung sei nicht erforderlich, dass die Eltern gemeinsam und gleichzeitig tätig werden. Möglich seien auch getrennte und nacheinander folgende Erklärungen, sowie ein Handeln nur eines Elternteils mit Zustimmung des anderen Elternteils. Insbesondere für den schulischen Alltagsbereich entspreche es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass einer von zwei Elternteilen in Vertretung für den anderen handele. Dabei sei davon auszugehen, dass er befugt ist, für den anderen Elternteil rechtserhebliche Erklärungen abzugeben. Eine Ausnahme bestehe nur, wenn der Schule konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Eltern getrennt leben, geschieden seien oder das Sorgerecht im Einzelfall nicht einverständlich ausüben. Das sei vorliegend nicht der Fall. Daher müsse der Vater die Kosten hier übernehmen (VG Minden, 8 K 2772/12). 


Ehewohnung: Überlassung der Wohnung an den Ehegatten nach Auszug

Zieht der Ehegatte, der allein Mietvertragspartei ist, anlässlich der Trennung aus der Wohnung aus und überlässt sie dem anderen Ehegatten, liegt keine vertragswidrige Überlassung an einen Dritten und damit kein Kündigungsgrund vor.

Diese Klarstellung traf der Bundesgerichtshof (BGH) im Falle eines Vermieters, der in der vorbeschriebenen Situation das Mitverhältnis wegen einer unbefugten Überlassung der Mieträume an einen Dritten gekündigt hatte. Die Richter machten deutlich, dass der Ehegatte, der nicht Partei des Mietvertrags ist, nicht Dritter im Sinne des Gesetzes sei, solange es sich bei der von ihm bewohnten Wohnung um eine Ehewohnung handele. Die Wohnung verliere ihren Charakter als Ehewohnung erst, wenn sie von dem Ehegatten, der sie verlassen hat, endgültig aufgegeben werde. Entscheidend sei dabei, ob die Überlassung an den anderen Ehegatten noch den aktuellen Erfordernissen in der Trennungssituation geschuldet sei, oder ob ihr schon eine endgültige Nutzungsüberlassung zugrunde liege (BGH, XII ZR 143/11). 


Testamentarischer Ersatzerbe ist kein Nacherbe

Eine testamentarische Anordnung, die für den Fall des kinderlosen Versterbens eines Erben einen Ersatzerben bestimmt, kann nicht ohne Weiteres so ausgelegt werden, dass dann, wenn der Erbe den Erbfall erlebt (sodass der Ersatzerbfall nicht eintritt), eine Vor- und Nacherbschaft gewollt ist.

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) entschieden. Streitgegenstand war das Testament einer 1991 verstorbenen Frau. Sie hatte im Jahre 1985 eigenhändig testamentarisch verfügt, dass der 1952 geborene Sohn ihr alleiniger Erbe werden solle. Für den Fall seines kinderlosen Versterbens hatte sie ihren 1958 geborenen Sohn zum „Ersatzerben“ bestimmt. Nachdem der ältere Sohn 2012 kinderlos verstarb, hat der überlebende jüngere Sohn einen Erbschein beantragt, der ihn als Alleinerben seiner Mutter ausweist.

Die Richter am OLG wiesen den Antrag jedoch zurück. Dem auslegungsbedürftigen eigenhändigen Testament sei die Anordnung einer Vorerbschaft des älteren Sohnes mit einer Nacherbschaft des Antragstellers nicht zu entnehmen. Zwar könnten der Erblasserin die juristischen Begriffe einer Vor- und Nacherbschaft nicht geläufig gewesen sein. Das sei den Beteiligten auch klar. In diesem Fall sei aber zu erwarten gewesen, dass sie in Bezug auf ihren Nachlass eine der Vorerbschaft entsprechende Verfügungsbeschränkung bestimmt hätte. Eine Anordnung diesen Inhalts enthalte das Testament aber nicht. Allein dem Begriff des Ersatzerben sei sie nicht zu entnehmen. Er besage nicht mehr als den Austausch der zur Erbfolge berufenen Personen. Weder durch die weitere Testamentsurkunde noch durch außerhalb der Urkunde liegende Umstände sei auf einen Willen der Erblasserin zur Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft zu schließen. Gehe man aber von einer Ersatzerbenstellung des Antragstellers aus, sei er nicht Erbe geworden, weil sein älterer Bruder die Erblasserin überlebt und deswegen selbst beerbt habe. Der Ersatzerbfall sei nicht eingetreten (OLG Hamm, 15 W 88/13).


Verkehrssicherungspflicht bei einer frisch gewischten Treppe

Ein Reinigungsunternehmen muss keine Warnschilder aufstellen, wenn deutlich sichtbar ist, dass eine Treppe feucht gewischt wurde.

Das ist das Ergebnis eines Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht (OLG) Bamberg. Geklagt hatte eine Frau, die an ihrem Arbeitsplatz auf einer frisch gewischten Treppe gestürzt war. Sie erlitt einen Trümmerbruch des linken Handgelenks und verschiedene Prellungen. Die Frau wollte deshalb vom Reinigungsunternehmen 10.000 EUR Schmerzensgeld. Sie erklärte, dass sie erst nach dem Sturz erkannt habe, dass die Treppe feucht gewischt worden sei. Ihr Sturz sei auf fehlende Hinweisschilder zurückzuführen. Das beklagte Reinigungsunternehmen verteidigte sich damit, dass es mit Putzmitteln arbeite, die für eine besonders schnelle Trocknung sorgten. Im Übrigen sei auch ohne Warnschilder leicht erkennbar gewesen, dass die Treppe feucht gewischt worden war. Den Unfall habe die Klägerin selbst verschuldet.

Die Richter am OLG wiesen die Klage der Frau ab. Das Reinigungsunternehmen habe keine Sicherungspflichten verletzt. Es müsse nur vor Gefahren gewarnt werden, die ein sorgfältiger Benutzer nicht ohne entsprechenden Hinweis erkennen könne. Dies sei z.B. der Fall, wenn wegen der Art des Bodenbelags die Feuchtigkeit nur schwer erkennbar sei. So habe es aber im vorliegenden Fall nicht gelegen. Die Treppe werde jeden Tag zur gleichen Zeit geputzt, was der Frau auch bekannt war. Auch würden nie Hinweisschilder aufgestellt. Schließlich habe ein als Zeuge vernommener Sanitäter angegeben, dass er sofort unmittelbar vor der Treppe, wo die verletzte Frau lag, Feuchtigkeit auf dem Boden wahrgenommen habe. Stelle aber bereits ein zur eiligen medizinischen Versorgung herbeigerufener Sanitäter sofort Feuchtigkeit auf dem Boden fest, müsse dies erst recht für einen sorgfältigen Benutzer gelten (OLG Bamberg, 6 U 5/13). 

Abgelegt unter Allgemeines Zivilrecht

Prozessrecht: Falsche Angaben gefährden Prozesskostenhilfe

Damit auch dem mittellosen Bürger der oft kostenintensive Weg zu den Gerichten nicht versperrt ist, greift ihm der Staat mit der sogenannten Prozesskostenhilfe unter die Arme, die eine Prozesspartei vorerst von Verfahrens- und Anwaltskosten freistellt. Voraussetzung: Der künftige Kläger oder Beklagte kann nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung auch unter Einsatz vorhandenen Vermögens nicht selbst aufbringen, was er anhand eines Auskunftsformulars zu seinen eigenen wirtschaftlichen Verhältnissen und denen seines Ehegatten ausführlich und wahrheitsgemäß darlegen muss. Ungemach droht dem, der sich hierbei ärmer macht als er tatsächlich ist.

So geschehen in einem vom Oberlandesgericht (OLG) Bamberg entschiedenen Fall. Der Kläger, der aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau vor Gericht zog, hatte für die 1. Instanz vor dem Landgericht auf Grundlage seiner Angaben, wonach er und seine Ehefrau über kein Grundvermögen verfügten, Prozesskostenhilfe erhalten. Als das Verfahren in die Berufung ging, begehrte er diese Form der Sozialunterstützung auch für die zweite Instanz und verwies auf seine bereits gemachten Angaben. Hellhörig wurden die Richter allerdings, als der Kläger eine Terminverlegung wegen einer beabsichtigten Flugreise für einen mehrwöchigen Aufenthalt in seinem Herkunftsland Türkei beantragte. Dies nahm der erkennende Senat zum Anlass, genauer nachzufragen, aus welchen Einkünften bzw. Vermögensreserven diese Auslandreise finanziert werden sollte und über welche Einkommensquellen bzw. welches Vermögen der Kläger und seine Ehefrau in der Türkei verfügten. Heraus kam das vage Eingeständnis, dass die Ehefrau Eigentümerin einer Wohnung „in der Türkei“ sei. Dies hatte der Kläger allerdings bislang in mehreren Erklärungen unerwähnt gelassen. Die Fragen des Gerichts zu weiterem Vermögen bzw. zu Einnahmequellen der Antragstellerseite in der Türkei wurden nicht bzw. nur ausweichend beantwortet.

Das OLG Bamberg wertete dies in Anbetracht der klaren Fragestellungen im Auskunftsformular als absichtliche Täuschung durch den anwaltlich beratenen Kläger über die tatsächlichen Vermögensverhältnisse und verweigerte ihm die begehrte Prozesskostenhilfe. Hierbei stützte es sich auf die Sanktionsnorm § 124 Nr. 2 ZPO, wonach das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagen kann, wenn eine Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat. Denn es genüge bereits, so der Senat unter Hinweis auf höchstrichterliche Entscheidungen, dass die falschen Angaben generell geeignet erscheinen, die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe zu beeinflussen. Dies sahen die Richter beim Verschweigen von ausländischem Grundvermögen, das nicht als Schonvermögen gilt und damit grundsätzlich zur Aufbringung von Prozesskosten eingesetzt werden muss, als gegeben an.

Nachdem der Kläger erst auf gezieltes Nachfragen des Gerichts das Auslandsvermögen seiner Ehefrau offengelegt, zudem die weitergehenden Nachfragen nicht bzw. nur ausweichend beantwortet und auch keinerlei Belege vorgelegt hatte, sah das Gericht seinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe jedenfalls für das Berufungsverfahren als verwirkt an (OLG Bamberg, 4 U 38/13). 

Abgelegt unter Allgemeines Zivilrecht

Ausfallschaden: Keine Pflicht zur Inanspruchnahme der Vollkasko

Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, seine Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen, um den gegnerischen Versicherer, der erst die Ermittlungsakte abwarten möchte, von einem hohen Ausfallschaden zu entlasten.

Das ist die Quintessenz eines Urteils des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig, das die gängige Rechtsprechung zu dieser Frage wiedergibt (OLG Schleswig, 7 U 146/11).

Hinweis: Schon zur Vermeidung eines Eintrags in der HIS-Datei der Versicherer („Versicherer-Schufa“) sollte der Geschädigte die Inanspruchnahme der Vollkasko ablehnen, wenn er nicht zwingend auf die Reparatur des verunfallten Fahrzeugs angewiesen ist. 


Versicherungsrecht: Versicherer kann Anspruch auf Nachbesichtigung haben

Der gegnerische Haftpflichtversicherer hat nach Ansicht des Amtsgerichts (AG) Düsseldorf jedenfalls dann einen Anspruch auf eine eigene Besichtigung des beschädigten Fahrzeugs, wenn er konkret darlegt, dass in dem ihm vorgelegten Schadengutachten vermutlich Anteile eines Altschadens als zum Neuschaden gehörig kalkuliert worden sind (AG Düsseldorf, 36 C 1991/12).

Die Zulässigkeit einer Nachbesichtigung wird in der Schadenwelt heiß diskutiert:

  • In der Regel machen es sich die Versicherer viel zu leicht, indem sie ohne Angabe von Gründen eine eigene Besichtigung trotz vorliegenden Gutachtens verlangen. Das geht nicht, ein solcher pauschaler Anspruch besteht nicht.
  • Wenn der Versicherer aber genau angibt, warum er eine eigene Besichtigung verlangt, kann das anders sein, wie in dieser Entscheidung.

Rotlichtverstoß: Umfahren der roten Ampel über ein Tankstellengelände ist zulässig

Wer eine rote Ampel über einen nicht durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich - hier ein Tankstellengelände - umfährt, begeht keinen Rotlichtverstoß.

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall eines Mannes entschieden, dem ein Rotlichtverstoß zur Last gelegt wurde. Der Mann wollte an einer Kreuzung nach links abbiegen. Da die Ampel für ihn Rotlicht zeigte, bog er vor der Kreuzung nach links auf das Gelände einer im Eckbereich der beiden Straßen liegenden Tankstelle ab, überquerte das Tankstellengelände und verließ dies wieder an der Ausfahrt zu der anderen Straße.

Die Richter am OLG haben ihn freigesprochen. Das Umfahren einer Lichtzeichenanlage könne zwar einen Rotlichtverstoß darstellen. Das Rotlicht verbiete aber nicht, vor der Ampelanlage abzubiegen und über eine reguläre Zufahrt einen nicht durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich zu befahren, etwa einen Parkplatz oder ein Tankstellengelände. Von diesem Bereich dürfe man dann auch auf den hinter der Lichtzeichenanlage gelegenen Verkehrsraum einfahren. Auch wenn dieser noch durch die Anlage geschützt sei, liege kein Rotlichtverstoß des Betroffenen vor. Das Rotlicht gelte nur für den Verkehrsteilnehmer, der es - in seiner Fahrtrichtung gesehen - vor sich habe (OLG Hamm, 1 RBs 98/13).

Hinweis: Dieser Fall ist von den Fällen abzugrenzen, in denen das Umfahren einer Ampel als Rotlichtverstoß zu ahnden ist: Das Rotlicht einer Ampelanlage ordnet ein Halten vor der Kreuzung oder Einmündung an. Es schützt den Quer- oder Einmündungsverkehr. Dieser muss sich aufgrund des für ihn angezeigten Grünlichts darauf verlassen können, dass aus der gesperrten Fahrtrichtung keine Fahrzeuge in den Kreuzungs- oder Einmündungsbereich hineinfahren. Zu dem durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich gehört deswegen der gesamte Kreuzungs- und Einmündungsbereich, außer der Fahrbahn auch parallel verlaufende Randstreifen, Parkstreifen, Radwege oder Fußwege. Geschützt ist dieser Bereich nicht nur vor, sondern auch ca. 10-15m hinter der Lichtzeichenanlage. Deswegen begeht einen Rotlichtverstoß, wer vor einer roten Ampel die Fahrbahn verlässt und die Lichtzeichenanlage dann über einen Gehweg, Randstreifen, Parkstreifen, Radweg oder Busspur umfährt. Gleiches gilt für denjenigen, der auf einer durch Grünlicht freigegebenen Geradeausspur in den Kreuzungsbereich einfährt und dann nach der Haltlinie auf einen durch Rotlicht gesperrten Fahrstreifen wechselt. 


Ordnungswidrigkeit: OLG Hamm verschärft Grenzen für bußgeldpflichtiges „Drängeln“

Eine Unterschreitung des im Straßenverkehr vorgeschriebenen Sicherheitsabstands kann mit einem Bußgeld geahndet werden, wenn die vorwerfbare Dauer der Unterschreitung mindestens drei Sekunden oder die Strecke der vorwerfbaren Unterschreitung mindestens 140 m beträgt.

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts Unna bestätigt. Der 57 Jahre alte Betroffene befuhr mit einem Pkw die BAB 1 in Fahrtrichtung Bremen. Bei einer Verkehrsüberwachung stellte die Polizei fest, dass er mit einer Geschwindigkeit von 131 km/h über eine Strecke von 123 m lediglich einen Abstand von 26 m zum vorausfahrenden Fahrzeug einhielt. Aufgrund dieser Fahrweise verurteilte das Amtsgericht Unna den Betroffenen wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstands zu einer Geldbuße von 180 EUR.

Die Richter am OLG bestätigten nun die Verurteilung des Betroffenen. Ein Abstandsverstoß könne nach der Rechtsprechung geahndet werden, wenn die vorwerfbare Abstandsunterschreitung nicht nur ganz vorübergehend sei. Situationen, die nur kurzzeitig zu einem zu geringen Abstand führten wie z.B. das plötzliche Abbremsen oder ein abstandsverkürzender Spurwechsel eines vorausfahrenden Fahrzeugs, seien keine schuldhafte Pflichtverletzung. Die Frage, wann eine Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend sei, werde in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Nach Ansicht des OLG sei sie in erster Linie nach ihrer zeitlichen Dauer zu beantworten. Bei einer Abstandsunterschreitung von mehr als drei Sekunden liege kein kurzfristiges Versagen des Fahrzeugführers mehr vor, wenn von ihm nicht zu vertretende, abstandsverkürzende Ereignisse ausgeschlossen werden könnten. Auch unter Berücksichtigung üblicher Reaktionszeiten sei von einem Fahrzeugführer zu verlangen, dass er bei einer Abstandsunterschreitung innerhalb von drei Sekunden handele, um den Sicherheitsabstand wieder zu vergrößern. Im vorliegenden Fall habe der Betroffene das versäumt.

Um besonders schnell fahrende Fahrzeuge nicht zu privilegieren, sei es - alternativ zu einer vorwerfbaren Abstandsunterschreitung von drei Sekunden - auch ausreichend, wenn diese jedenfalls eine Strecke von 140 m ausmache. Wer 140 m in weniger als drei Sekunden zurücklege überschreite die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen deutlich und erhöhe dadurch die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs. Er müsse deswegen den erforderlichen Mindestabstand auch schneller wiederherstellen (OLG Hamm, 1 RBs 78/13).